Interview mit Riccardo Minasi

Riccardo Minasi im Interview mit Saerom Park (Solocellistin Ensemble Resonanz)

Du kommst gerade von einer Konzertreise aus Japan zurück, wo Du das Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra dirigiert hast. Wie war es? Spürst Du als halb Japaner eine besondere Verbindungen zu dem Land?

Das war mein allererstes Konzert in Japan. Wie es war? Wahnsinnig! Wenn ich in Europa oder sonst wo in der Welt unterwegs bin, gehe ich immer als »der Italiener« durch. In Japan war ich einer von denen. Ich fühlte mich sofort wie zu Hause. Es wurde plötzlich so klar, sie sind meine Leute! Eine komplett unerwartete, gleichzeitig extrem rührende Erfahrung. Die Kommunikation lief beeindruckend gut. Obwohl ich gar kein Japanisch kann, hatte ich das Gefühl, dass wir dieselbe Sprache sprachen, sowohl im Alltäglichen auch bei der musikalischen Arbeit. Ich hatte riesen Spaß und die gesamte Reise war ein wichtiges Ereignis für mich. Also, sicherlich werde ich in baldiger Zukunft nach Japan zurückkehren, mit großer Freude!

In bestimmten Kulturkreisen und auch im Buddhismus glaubt man an Wiedergeburt. Wer oder was warst du bisher in deinen vorherigen Leben?

Hmmm, puuuhh... Das ist eine schwierige Frage.

Glaubst du überhaupt an Reinkarnation?

Nein. Deswegen weiß ich auch nicht wer oder was ich war. Ich hätte dafür eine andere Geschichte. Ich war vor kurzem in Stavanger, Norwegen. Die Musiker erzählten mir bei meiner Ankunft, dass in dem schönen Landhaus wo ich untergebracht bin, angeblich ein Gespenst wohnt. Mehrere  Gastdirigenten, die dort übernachteten, hätten bereits mit einer jungen Frau »gesprochen«. Unsinn, dachte ich, denn Geister existieren nicht. ABER, in dieser Nacht, als ich schon im Bett lag, hörte ich tatsächlich eine Mädchenstimme. Sie sagte »korewa« (これは: »dies« auf Japanisch). Daraufhin sprang ich sofort auf, machte das Licht an und schaute im Internet nach was »korewa« auf Norwegisch bedeuten könnte. Die Antwort kam erst dann, als ich am nächsten Morgen einer Geigerin vom Orchester darüber berichtete. »Går det bra?« soll die Stimme mit Stavanger-Dialekt gesagt haben, was »ist alles in Ordnung?« heißt. Spooky, oder? Danach schwieg sie leider bis zu meiner Abreise. Wenn es mir irgendwann gelingt, mit ihr wieder Kontakt aufzunehmen, habe ich hoffentlich schon ein wenig Norwegisch gelernt und werde sie unter anderem fragen, ob sie etwas über mein vorheriges Leben weiß. (beide lachen)

Heute bist du Riccardo Minasi, Geiger und Dirigent in einem. Verbunden mit der Geige war die alte Musik dein Zuhause, deine Repertoireliste als Dirigent sieht dagegen ganz anders aus. Magst du uns von diesem neuen Umgang mit dem Erbe erzählen?

Ich habe mehr als 25 Jahre meines Lebens mit Corelli verbracht, irgendwann kam der »ach, ich habe genug«-Moment. (lacht...) Jetzt mal Ernst: Ein wichtiger Bestandteil der alten Musik ist Affekt. Extrahierte Emotionen werden in einen kraftvollen, ergreifenden Klang verwandelt, der eine große Selbstverständlichkeit in sich trägt. Ein delikater und anspruchsvoller Prozess, denn es gibt endlos viele Wege und Umwege diesen Ausdruck zu kreieren, obwohl das Material aus »ein paar Tönen« besteht. Da macht man ordentlich was durch, Ambivalenz, Hassliebe... Aber genau diese Erfahrungen sind mein wertvollstes Erbe. Die Erweiterung und dementsprechende Veränderung findet jeden Tag statt, neuer Apparat, neues Repertoire... In den letzten Monaten habe ich mich intensiv mit spätromantischen und aus dem 20. Jahrhundert stammenden Werken beschäftigt. Letztendlich hat jede Epoche ihre eigenen Reize und Hürden. Meine Suche geht immer weiter. Ich bin ein glücklicheres Kind, wenn neue Spielzeuge nach Hause kommen! (lacht...)

Wo wir gerade beim Thema »das neue Repertoire« sind: Wie gehst Du mit neuen Werken um?

Ich muss gestehen, Uraufführungen sind ein ziemlich neues Terrain für mich. (lacht...) Das grundsätzliche Prinzip des Musikmachens bleibt. Ich studiere den Text, die musikalische Struktur, einzelne Anweisungen, Tongebungen und Farben... Danach werden die Zusammenhänge sortiert und Entscheidungen getroffen... Aber das Ganze findet ja in einer Fremdsprache statt. Also achte ich speziell drauf, nicht nur die faszinierenden Klänge zu erkennen, sondern auch den Sinn der Geschichte zu verstehen. Die Direktverbindung zu den Komponisten ist ein unschlagbarer Vorteil der neuen Musik.

Direktverbindung klingt verführerisch. Wenn du dich heute Abend mit CPE Bach verabreden könntest, worüber würdet ihr euch unterhalten? Welche Fragen hättest du?

Oh, ich hätte so viele Fragen Saerom. Mit CPE Bachs Musik habe ich immer versucht die einzelnen Szenarien extrem dramatisch aufzubauen um die theatralischen Aspekte zu unterstreichen. Ist es überhaupt eine akzeptable Interpretation? Was denkt er darüber? Und natürlich möchte ich liebend gerne hören, wie er seine eigene Musik spielt. Außerdem interessiert mich CPE Bach, als ein Mann aus dem 18. Jahrhundert. Alles was ich über das damalige Leben gelesen habe, fand ich enorm faszinierend. Die Menschen waren subtil und pragmatisch. Zum Beispiel im Umgang mit dem »Ende dieser Welt«: Der Tod war viel näher am Leben. Dagegen haben wir heutzutage eine seltsame Beziehung zur Unendlichkeit entwickelt. Zu viel Morbidität und zu viel Trost zugleich.

Zu viel Morbidität und zu viel Trost... Mozart wurde nur 35 Jahre alt. Ist er für dich ein »Forever Young«-Komponist?

Nein, auf gar keinen Fall. In Mozart stecken mehrere Komponisten in einem. Wenn du seine Musik hörst, wird es total klar. Der 5-jährige Mozart, der 200-jährige Mozart... Sie sind immer alle anwesend. Anders kann man die Komplexität und Elastizität seines Könnens gar nicht erklären.

Es gibt neue Erkenntnisse, dass Mozarts Symphonie Nr. 39 im Jahr 1791 in Hamburg aufgeführt wurde. Was hat sich seitdem verändert, was ist geblieben? Was für eine Version werden wir 226 Jahre später präsentieren?

Gehen wir zurück zum Jahr 1791. Hamburger Musiker, die aus derselben Wissensquelle gelernt haben, die sehr wahrscheinlich Instrumente von demselben Hersteller besitzen und dieselbe Sprache sprechen, setzen sich zusammen um Mozarts Sinfonie aufzuführen. Es fällt mir nicht schwer mir vorzustellen, dass dieses Zusammenspiel auf einem soliden, gemeinsamen Fundament basiert und eine natürliche Art Homogenität ausstrahlt. Sicherlich haben Wiener ganz anders musiziert als Pariser, Venezianer noch mal anders als Prager. Eins hatten sie aber gemeinsam, die große musikalische Selbstverständlichkeit, jeder auf eigene Weise. Heute ist alles anders geworden. Wir werden mit unterschiedlichsten Informationen und Herkunften konfrontiert. Auch die Idee, absolute Reinheit und Originalität der klassischen Musik durch historische Aufführungspraxis zu erreichen, halte ich für einen utopischen Wunsch. Aber hey, andererseits, es gibt nichts Schöneres als Mozart in voller Farbenpracht. (lacht...)

Wie geht es GG? (GG ist ein Metronom. Hauptsächlich für die GG-Therapie verwendet. »G«nadenlos aber »G«eduldig.)

Historisch betrachtet könnte man darüber streiten – aber die GG-Therapie ist eine extrem effiziente Methode, um eine gemeinsame rhythmische Grundlage in relativ kurzer Zeit zu schaffen. Eine Art Sanierungsprogramm. GG geht es gut und er wird mit mir nach Hamburg reisen. (lacht...)

Kannst du uns Il Maiale vorstellen?

Il Maiale bedeutet Schwein auf Italienisch. Ein Intonationsexperte, den ich mit einem Ingenieur zusammen entwickelt habe. Il Maiale kann auf verschiedene alte Temperamente eingestellt werden und fungiert als ein Indikator. Beurteilung und Wahrnehmung der richtigen Intonation ist eine essenzielle Voraussetzung für bestimmtes Repertoire. Hier geht es nicht nur um Tonhöhen sondern auch um Klangqualität. Du hast Il Maiale noch nie getroffen oder?

Nein.

Well, once you meet him, there is no escape! (lacht...)

So, jetzt kommt die allerletzte Frage. Was ist das Geheimnis der Musik?

Kennst du die Geschichte mit Stradivarius und seinem Lack? Nach tausende Büchern und Untersuchungen, haben sie rausgefunden, dass er seinen heiligen Lack stink normal in der Apotheke um die Ecke gekauft hat. Keine eigene Mischungen, keine mysteriöse Zutaten. Ich sehe es mit der Musik genauso. Ein »Geheimnis der Musik« existiert nicht. Die Musik ist eine komplexe Ausdrucksform der Menschen. Man kann schließlich alle Aspekte des Lebens in der Musik wiederfinden, sie sind nur sehr gut versteckt.

Das Interview führte Saerom Park, Solocellistin des Ensemble Resonanz

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