Ein Theoretiker, der wütet, wie es ihm passt.
Intervallturnereien, Lautstärkehämmer und andere Sperenzchen. Ein Theoretiker, der wütet, wie es ihm passt.

CPE Bach – Klavierkonzert d-Moll Wq 23

Text: Christopher Warmuth

Als hätte man mit einer Spritze Adrenalin in die Noten injiziert! Die ersten Orchestertöne vom »Klavierkonzert d-Moll, Wq 23« von Carl Philipp Emanuel Bach springen überdreht durch die Tonlagen. Auf und Ab, blitzschnell und mit einem Energielevel, das seinesgleichen sucht. Das Hauptthema ist derart weit gespannt, dass einem schwindelig wird. Riesige Intervallsprünge wollen von ganz oben bis ganz unten alles nutzen, was möglich ist. Das ist der auskomponierte »Sturm und Drang«, den es in der Musikgeschichte genau genommen gar nicht gibt.

Johann Sebastian Bach hatte sechs Söhne, vier davon brachten es als Komponisten zu großem Ansehen. C.P.E. Bach war der herausragendsten Tonsetzer Norddeutschlands in dieser Zeit. Aber welche Zeit?
Vom schwülstigen Barockstil, der sich am ehesten mit den Verschnörkelungen im damaligen Gebäudestil vergleichen lässt, hatte man wirklich genug! Mit Vater Bachs Tod endet die Epoche des »Barock«, die »Klassik« wird folgen. Doch ein solcher Epochenwechsel will vorbereitet werden, von heute auf morgen ändert sich nichts derart grundlegend. Und hier kommen die Bachburschen ins Spiel. Im Geiste der »Aufklärung«, des erschwinglichen Notendruckes, der günstigeren Instrumente, war es Zeit, den Blick nach oben, den J.S. Bach durch Kirchenmusiken praktizierte, ins Innere zu wenden. Die Kompositionsstile sollten »einfacher«, »schlichter«, »galanter« und »natürlicher« sein.

C.P.E. Bach war sehr an der ästhetischen Theorie interessiert. Sein Lehrwerk »Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen« von 1753 beschäftigt sich nicht nur mit technischen Fragen der Fingerfertigkeit, musikalischen Ornamenten oder Begleitung, sondern behandelt auch ausführlich ästhetische Fragestellungen. Es ging ihm vor allem um den »musicalischen Ausdruck«. Damit war der »empfindsame« Stil geboren, bei dem die Vermittlung starker, genau umgrenzbarer Empfindungen an erster Stelle steht.

Die Musik von C.P.E. Bach schockt durch plötzliche Pausen, jäh aufbrausende Stellen, unvermittelte Modulationen und er war ein Meister darin, das Publikum zu fesseln. Alle seine Klavierkonzerte haben drei Sätze. Das »Klavierkonzert d-Moll, Wq 23« entstand 1748 in Potsdam, vermutlich hat es aber keinen Platz am Hofe des Preußenkönigs gefunden, dafür ist es zu ungefällig und rau. Allein das Intervallturnen im ersten Satz wäre zu viel gewesen. Nimmt man die Lautstärkekontraste und rhythmischen Überraschungen hinzu, war das für den Hof zu »wild«.

Im zweiten Satz könnte der Kontrast nicht größer sein! Das Orchester wirft allenthalben energetisch dazwischen, was ihm vermeintlich gerade einfällt und der Solist schmachtet sensibel vor sich hin. Es ist ein Hin und Her, ein Zwiegespräch, bei dem keiner von beiden zu verstehen mag, von was der andere eigentlich spricht. Der letzte Satz ist in der Manier eine Anlehnung an den ersten Satz und schließt wild, ausdauernd und inbrünstig wütend.

C.P.E. wurde zu Lebzeiten schlicht »der« Bach genannt, er war bekannter als sein Herr Papa. Als er im Jahr 1788 starb, da war die Welt im Umbruch und mit ihr auf die Welt der Musik. Blitzartig schnell wurde C.P.E. vergessen. Er war das denunzierte Bindeglied zweier Epochen, »Barock« und »Klassik«. Zwischen Aufklärung und Revolution, zwischen Bach Papa und Haydn, zwischen Kirche und Oper wurde er bis heute zerquetscht.

Dabei hat das »Klavierkonzert d-Moll, Wq 23« so eine unbändige Energie, dass man sicher sein kann, dass die C.P.E.-Renaissance im Gange ist. Und sie will gehört werden.

Konzerte zu: Intervallturnereien, Lautstärkehämmer und andere Sperenzchen. Ein Theoretiker, der wütet, wie es ihm passt.