Maria Gnann über Mozarts Sinfonie Nr. 39
Vom Himmel zur Erde: Sinfonie Nr. 39 in Es-Dur

Bei der Sinfonie Nr. 39 (Es-Dur) zum Beispiel ließ Mozart einfach die Oboen weg – sie fehlen sonst in keiner seiner Sinfonien – und instrumentierte lieber den weichen Klang zweier Klarinetten hinzu. Pauken und Trompeten wuchten in diesem Werk den Vorhang beiseite für ein nicht gerade leicht verständliches Spiel. Die feierliche Einleitung, beinahe opernhaft, mündet schon bald in Unruhe und Aufregung. Mozart streut herbe Dissonanzen. Stolz, aber auch scharf zielen sie zu einem Allegro, das eher verwirrt als klärt. Es strahlt keinen überzeugten Optimismus aus und das erste Thema wird mehr angedeutet als laut und klar postuliert. Der Komponist wirft Fragen auf, aber er lässt keine entschlossene Stellungnahme folgen. Der Satz pendelt zwischen laut und leise, Anspannung und Lösung, Freiheit und strenger Satztechnik, erhabener Entschlossenheit und zärtlicher Selbstvergessenheit. Mozart verzahnt so viele neue motivische Erfindungen, dass man gar nicht mehr weiß, wo Hauptstimme und wo Begleitung zu hören ist. Seine Dramaturgie sieht eine meisterhafte Überschwemmung an musikalischen Aktionen und Reaktionen, Gesten und Gestalten vor. Als »Bilder des Lebens« beschrieben dies beeindruckte Hörer. Aber der Schweizer Musikpädagoge Hans Georg Nägeli rümpfte in seinen Vorlesungen 1826 die Nase angesichts der »widerwärtigen Styllosigkeit« Mozarts. Doch liegt nicht gerade in den starken Kontrasten eine unheimliche Anziehungskraft?

Im nächsten Satz, einem Andante con moto, stellt Mozart dem zierlich höfischen Ton des Anfangs einen neugierig bewegten Gestus gegenüber. Die Elemente ergänzen und steigern sich, indem sie unmerklich polyphon verarbeitet werden. Bläser vereinigen sich bald mit den Streichern und entfachen einen Dialog, der aus teils selbstbewussten Argumenten und teils hinterfragenden Einwürfen besteht. Oder das Menuett: Majestätischer Eifer hält inne. Stülpt Mozart, der Schelm, den Herrschaften da nicht einen stampfenden Ländler über? Vor allem im Trio-Teil geben die Klarinetten mit volkstümlichen Melodien den Ton an.

Mozart bricht hier mit einer schulmäßig klaren Kompositionsweise, bei der eines aus dem anderen organisch entwickelt wird. Das Unkonventionelle fand Nägeli unmöglich: »So ist der Schluß des Finales dieser nämlichen Sinfonie in den letzten zwey Takten so styllos unschließend, so abschnappend, daß der unbefangene Hörer nicht weiß, wie ihm geschieht.« Kühn agiert Mozart definitiv. Er erinnert zwar im Finale anfangs an Haydnschen Übermut und lässt ein vergnügtes Zweitakt-Motiv durch den ganzen Satz wirbeln. Aber mit gezielten Molleinfärbungen gerät der Höhenflug bald zu etwas Bodenständigem. Am Schluss siegt hier weder die Champagnerstimmung vom Satzanfang noch das Pathetisch-Erhabene des Sinfoniebeginns. Jäh bricht Mozart die letzten Takte ab. »Will er das hohe Unendliche, das uns in der Einleitung der Sinfonie angeweht hat, am Ende mit dem trivial Endlichen konfrontieren?«, fragt Musikwissenschaftler Martin Geck. Das bekannte Zweitaktmotiv baumelt plötzlich in der Luft – so, als hätte Mozart einfach den Stecker gezogen. Nur noch eine Pause steht da in den Noten: die mitkomponierte Verblüffung seiner Zuhörer.

Text: Maria Gnann