resonanzen sechs
»concerti & capricen« (test)

Digitales Programm

Mittwoch 12. & Donnerstag 13. Juni 2024
Elbphilharmonie, Kleiner Saal
19:30 Uhr

Ilya Gringolts, Violine
Riccardo Minasi, Dirigent
Ensemble Resonanz

+++ Inhaltsverzeichmis zum Aufklappen +++

Eine gegen alle? Alle für einen?

In 12 sehr berühmt gewordenen Concerti Grossi übersetzte Arcangelo Corelli das Neben- und Miteinander vom Einzelnen und Ganzen in folgenreiche, ewigjunge Orchestermusik. Doch Posen des Kapriziösen halten dagegen. Ilya Gringolts ist in guter Gesellschaft und auf dem Solo-Trip, er zelebriert die Geburtsstunde der Virtuosität, kompromisslos und expressiv. Einer gegen alle? Alle für einen?

Konzertprogramm

Giuseppe Tartini (1692-1770)
25 piccole Sonate per Violino solo: Nr. 8, g-Moll III. Affettuoso

Arcangelo Corelli (1653-1713)
12 Concerti grossi op. 6: Nr. 8, g-Moll »Fatto per la notte di natale« I. Vivace – Grave II. Allegro III. Adagio – Allegro – Adagio IV. Vivace V. Allegro VI. Pastorale: Largo

Salvatore Sciarrino (*1947)
6 Capricci: Nr. 4 »Volubile«

Arcangelo Corelli
Concerto grosso Nr. 9, F-Dur I. Preludio: Largo II. Allemanda: Allegro III. Corrente: Vivace IV. Gavotta: Allegro V. Adagio

Niccolò Paganini (1782-1840)
24 Capricci op. 1: Nr. 22, F-Dur »Marcato« VI. Minuetto: Vivace

Pietro Locatelli (1695-1764)
24 Capricci op. 3: Nr. 6, F-Dur

Arcangelo Corelli
Concerto grosso Nr. 10, C-Dur I. Preludio: Largo II. Allemanda: Allegro III. Adagio IV. Corrente: Vivace

Salvatore Sciarrino
6 Capricci: Nr. 1 »Vivace«

Arcangelo Corelli
Concerto grosso Nr. 10, C-Dur V. Allegro VI. Minuetto: Vivace

Niccolò Paganini
24 Capricci op. 1: Nr. 13, B-Dur »Allegro«

Arcangelo Corelli
Concerto grosso Nr. 11, B-Dur I. Preludio: Largo II. Allemanda: Allegro III. Adagio

Salvatore Sciarrino
6 Capricci: Nr. 3 »Assai agitato«

Arcangelo Corelli
Concerto grosso Nr. 11, B-DurIV. Largo V. Sarabanda: Largo VI. Giga: Vivace

Giuseppe Tartini
Violinkonzert A-Dur, D. 96 II. Largo andante

Musikerinnen & Musiker

Violine
Gregor Dierck*, Joseph Puglia*, Benjamin Spillner*, Tom Glöckner, David-Maria Gramse, Corinna Guthmann, Juditha Haeberlin, Christine Krapp, Swantje Tessmann, Skaiste Diksaityte, Anna Melkonyan

Viola
Yuko Hara, David Schlage, Maresi Stumpf, Tim-Erik Winzer

Violoncello
Saskia Ogilvie*, Saerom Park*, Jörn Kellermann

Kontrabass
Anne Hofmann, Benedict Ziervogel

Theorbe
Daniele Caminiti

Cembalo
Clemens Flick*, Joan Boronat Sanz*

* Solo Concertino

Grußwort von Tobias Rempe

Liebe Freundinnen und Freunde des Ensemble Resonanz,

Das Offene schauen« hat das Ensemble Resonanz seine Spielzeit an der Elbphilharmonie genannt – ohne die geringste Ahnung, wie offen sich das Ganze entwickeln würde. Die Saisoneröffnung im Großen Saal konnte, wenn auch mit sozialen Distanzierungen, im September noch wie geplant stattfinden. Der zweite Termin im November musste ersatzlos ausfallen. Und heute können wir das dritte Programm fast wie geplant stattfinden lassen – allerdings ohne euch, ohne Sie, ohne unser Publikum.

Wir finden das fatal. Nicht umsonst tragen wir die Resonanz in unserem Namen und haben sie auch als Titel unserer Konzertreihe gewählt. Ihr Ohr ist wichtig und essentieller Bestandteil dessen, was wir im Konzertsaal in den aufregendsten Momenten erleben können.

Trotzdem sind wir in Kontakt: wir haben weiter für unser Publikum produziert, sind bewegt von den zahllosen ermutigenden Zuschriften und vor allem von den vielen gereichten Händen! Das macht uns dankbar und gibt uns Zuversicht, dass wir durch diese Zeit kommen und weiter daran arbeiten können, so schnell wie möglich wieder auf die Bühne zurück zu kommen. Und bis das der Fall ist weiter nach neuen Wegen zu suchen, um unsere Arbeit zu präsentieren und so mit Ihnen in Verbindung zu bleiben. Mit Beginn dieses Jahres wollen wir in unseren eigenen Konzertreihen – den resonanzen in der Elbphilharmonie, aber auch bei urban string im resonanzraum – trotz des Lockdowns weitermachen und unsere Planungen so lange in digitalen Produktionen verwirklichen, wie keine Livekonzerte möglich sind. So experimentieren wir mit Formaten, die eigenständig sind und etwas anderes sein können, als ein bloßer Ersatz oder einfaches Abbild des Live-Erlebnisses. Als erstes Ergebnis dieser Bemühungen haben wir vor wenigen Wochen bereits unser urban string-Programm »wenn die nacht am tiefsten« als Nachtspaziergang auf die Welt gebracht und auch das urban string-Programm »lady« wird Anfang März in einer eigenen digitalen Form veröffentlicht.

Und nun also unser erster resonanzen-Film aus der Elbphilharmonie. Wir freuen uns sehr über die Produktion, die uns auch neue Möglichkeiten im so vertrauten Kleinen Saal entdecken ließ. Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser digitalen resonanzen-Premiere! Und hoffe, dass wir alle uns schon sehr bald wieder direkt begegnen werden – um uns auszutauschen, gemeinsam Musik zu erleben und auf unterschiedlichste Art in Resonanz zu kommen.

Ihr Tobias Rempe

Zum Programm

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Barocke Mustergültigkeit:
Arcangelo Corellis Concerti grossi op. 6

Reiste man in der Zeit zurück und begäbe man sich auf die Suche nach einer europäischen Lösung in der Frage barocker Instrumentalmusik, wäre dieser Name mit Sicherheit häufiger genannt worden: Arcangelo Corelli. Seine Instrumentalmusik strahlte von Italien nach ganz Europa aus, sie erfreute sich auch in Deutschland und England großer Beliebtheit und prägte folgende Komponistengenerationen. Geboren 1653 in Fusignano, zog es Corelli um 1670 zunächst in das nahe Bologna, wo der Geiger möglicherweise seinen ersten Kompositionsunterricht erhielt. Spätestens im Jahr 1675 ging es für Corelli weiter nach Rom. Er dort trat als Violinist bei Oratorien- und anderen Aufführungen in Erscheinung. Corelli wurde als Musiker geschätzt und steigerte, von wohlhabenden Mäzenen gefördert, als Komponist, Orchesterleiter und Geigenvirtuose seine Bekanntheit.

Zu Lebzeiten war »Il Bolognese«, wie er in Rom genannt wurde, in allen drei Disziplinen überaus erfolgreich. Als Geiger spielte er, wie Zeitgenossen berichten, voller Leidenschaft und Intensität. Ein anonymer Hörer aus England schreibt, dass Corellis Augen bei einem Aufritt rot wie Feuer leuchteten. Als Komponist trat Corelli weniger expressiv in Erscheinung. Er stellte hohe Ansprüche an seine Werke, die er nach eigener Einschätzung selbst nicht immer erreichte und übte sich in Bescheidenheit. So leidenschaftlich sein Umgang mit der Geige, so zurückhaltend zeigte er sich beim Komponieren.

Selbst wenn von Corelli lediglich sechs Werkgruppen mit Opuszahl überliefert sind, handelt es sich hierbei um Kompositionen von enormer Bedeutung. Obwohl Corelli in Rom als Violinvirtuose gefragt war, sind von ihm keine Solosonaten erhalten. Vielmehr setzte er zunächst mit seinen Triosonaten nach standardisiertem Modell für zwei Oberstimmen und Generalbass (op. 1 bis op. 5) Maßstäbe und ebnete der Sonate den Weg. Schon sein op. 1 wurde in Amsterdam und Antwerpen nachgedruckt; die folgenden Serien waren gar noch erfolgreicher, sie erreichten in zahlreichen Neuauflagen bald London und Paris. Corelli hatte es, das steht außer Frage, zum international erfolgreichen Komponisten gebracht. Noch im 18. Jahrhundert wurde seine Musik bis nach China und Indien verbreitet.

Nachdem sich Corellis Gesundheitszustand verschlechtert hatte, trat er ab 1712 nicht mehr öffentlich auf. Seine Concerti grossi op. 6 erschienen im Druck erst posthum 1714 in Amsterdam. Entstanden ist diese Zusammenstellung seiner Orchestermusik, die Corelli dem Kurfürsten Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg widmete, jedoch schon ab den 1680er-Jahren. Selbst wenn heute Corellis Landsmann Alessandro Stradella als Begründer der Gattung gilt, führte Corelli das barocke Concerto grosso zu seinem Höhepunkt. In den zwölf Konzerten setzt er den aus den Triosonaten bekannten systematischen Ansatz mit musterhafter Gültigkeit fort. Die Konzerte 1 bis 8 folgen dabei dem Modell der Sonata da chiesa, der Kirchensonate. Die Konzerte 9 bis 12 orientieren sich an der Kammersonate und sind im stile da camera geschrieben. Der Unterschied zeigt sich zunächst in der Form: Nach dem Modell da chiesa beginnt das Konzert mit einem gewichtigen Einleitungssatz; unter den folgenden vier bis sieben Sätzen findet sich mindestens ein schneller, fugierter Satz, der von kontrapunktischen Techniken bestimmt wird. Der Terminus bezieht sich hier nicht nur auf eine mögliche Aufführung in kirchlichem Rahmen, sondern auch auf Würde und Anspruch der Musik. So durchzieht die langsamen Sätze ein ernster Charakter. Die Konzerte im stile da camera hingegen sind nach einem einleitenden Präludium als eine Abfolge von Tanzsätzen angelegt und erweisen sich somit formal als Suite. Für alle Konzerte gilt: Durch ihre kurzen Sätze und kleingliedrigen Strukturen sind sie äußerst abwechslungsreich und kurzweilig gestaltet.

Hört man auf die dialogische Struktur in Corellis Concerti grossi, wird klar, warum der Musikwissenschaftler Jacques Handschin das Zeitalter des Barock als Epoche des konzertierenden Stils beschrieb. Charakteristisch für die Konzerte ist, dass eine aus drei Stimmen bestehende Solistengemeinschaft (das Concertino) dem stützenden Gesamtklang des Orchesters (Ripieno oder Tutti) gegenübertritt. Diese dialogische Anlage findet ihr Vorbild in der Vokalmusik, sie kann als instrumentale Nachahmung der venezianischen Mehrchörigkeit verstanden werden. Die unterschiedlich besetzen Abschnitte und der konzertierende Stil haben dabei auch Auswirkungen auf das musikalische Material. Die wiederkehrenden Tutti-Ritornelle bewegen sich auf festen Tonstufen, die Episoden sind hingegen individueller gestaltet und modulieren auch in entferntere Tonarten.

Dass das Concerto grosso aus der Weiterentwicklung der Triosonate entstand, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Corellis Concerti grossi gerade in festlichem Rahmen mitunter spektakulär ausfallen konnten. Die Gruppe des Concertinos konnte zweifach oder dreifach besetzt sein, zu besonderen Anlässen konnten Trompeten und Posaunen das Ensemble verstärken. Von unserer Vorstellung eines modernen Orchesters liegt das womöglich gar nicht weit entfernt. Aufführungen mit bis zu 150 Musikern müssen bei zeitgenössischen Hörern Eindruck hinterlassen haben. Die Vorstellung eines solchen musikalischen Großereignisses ist mit unserer heutigen Klangvorstellung dieser barocken Konzertmusik allerdings nur schwer vereinbar.

Dabei war es gerade ein Faktor des Erfolgsmodells Corellis, dass seine in puncto Besetzung variablen Konzerte nicht an bestimmte Anlässe oder Orte gebunden waren. Die Zahl der beteiligten Musiker war nicht festgelegt, zudem konnten die Konzerte in weltlichen wie kirchlichen Kontexten aufgeführt werden. Die Einteilung in Konzerte nach dem Modell da chiesa und da camera stellte hierbei kein Hindernis dar. Dies zeigt sich etwa im Konzert Nr. 8, das unter dem Beinamen »Fatto per la notte di Natale« eine steile Karriere als barockes Weihnachtskonzert hinlegte. Die abschließende Pastorale mit ihrem wiegenden Rhythmus, die den direkten Bezug zum Weihnachtsfest herstellt, notierte Corelli ad libitum. Sie kann zu anderen Zeiten des Jahres, falls als störend oder unpassend empfunden, problemlos weggelassen werden. Auch für heutige Klangkörper lassen die Concerti grossi gerade bezüglich der Besetzung verschiedene Möglichkeiten zu. Zu Corellis Lebzeiten waren die Konzerte besonders in England ein großer Erfolg. Zwischen 1776 und 1802 wurden sie fast hundertmal nachweislich zur Aufführung gebracht.

Diese im Barock beliebte Form des Gruppenkonzerts, die in Deutschland von Johann Sebastian Bach in ähnlicher Form in den Brandenburgischen Konzerten erprobt wurde, erwies sich 18. Jahrhundert jedoch bald als Auslaufmodell. Spurenelemente des Concerto grosso können dann nur noch vereinzelt, etwa in Wolfgang Amadeus Mozarts Doppelkonzert oder Ludwig van Beethovens Tripelkonzert, gefunden werden. Trat in Corellis Konzerten kein Geiger entscheidend hervor, rückte im Konzertwesen zunehmend der Solist in den Mittelpunkt des Geschehens. Das Individuum lief dem Kollektiv den Rang ab.

Virtuose Grenzgänge:
Capricen von Locatelli, Tartini, Paganini und Sciarrino

Während es in Corellis Instrumentalmusik weniger um Virtuosität als vielmehr um das systematische Erproben von Modellen der Orchestermusik geht, die letztlich zu Gattungsnormen wurden, zeigen sich die Capricen für Violine solo von Pietro Locatelli, Giuseppe Tartini, Niccolò Paganini und Salvatore Sciarrino von einer anderen Seite. Die Selbstdarstellung des Solisten war folglich nicht nur im zunehmend auf das Solokonzert fokussierten Konzertwesen ein Thema, sie schlug sich auch in den Kompositionen für Violine solo nieder. Der bewusste Verzicht auf tradierte Formen deutet sich schon im Namen der Gattung an: Capriccio. Kapriziös, darunter verstehen wir heute etwas Launenhaftes, Eigenwilliges, mitunter Bizarres. Mit Spielregeln ist das selbstredend weniger gut vereinbar. Die Geschichte des Capriccios und somit die der musikalischen Launenhaftigkeit beginnt im 16. Jahrhundert in Italien, wo der Begriff mit mehrdeutiger Wortgeschichte auf einen besonderen Einfall hinweist.

Wie so oft bei musikalischen Gattungsbegriffen folgte die Ausdifferenzierung und Abgrenzung erst im Nachhinein. Termini wie Capriccio, Fantasia, Toccata oder Canzone meinen zunächst ähnliche Musikstücke; es ist mühselig, sie voneinander abzugrenzen. Wesentlich für das Capriccio sind seine freie Schreibart und formale Ungebundenheit, hinzu kommt die Freiheit des Künstlers beim musikalischen Vortrag. Capriccios wurden für verschiedene Instrumente und Instrumentengruppen geschrieben und konnten programmatische Ideen enthalten. Besonders beliebt waren die Violine und das Klavier, aber auch Vokalkompositionen konnten als Capriccio bezeichnet werden. Allen Ausprägungen ist gemein, dass das Capriccio im Gegensatz etwa zum Concerto grosso nicht von der formalen Anlage, sondern von der musikalischen Eingebung, dem die Komposition prägenden Einfall, aus gedacht ist.

Mit Beginn des 18. Jahrhunderts schrieben sich Violinvirtuosen zunehmend technisch anspruchsvolle Stücke für den eigenen Bedarf auf den Leib bzw. das Instrument. Dieser Typ des virtuosen Capriccios erreichte mit Niccolò Paganinis 24 Capricen op. 1 seinen Höhepunkt. Der exzentrische Geiger verstand es, in seinem Spiel Kunst und Unterhaltung zu verbinden und präsentierte bei seinen Auftritten komponierte Musik, die wie Improvisation wirkte. Besonders populär aus dieser Sammlung ist heute deren Nr. 24, die zahlreichen Bearbeitungen unterzogen wurde. Der besondere Einfall geht bei Paganini stets mit hohen technischen Anforderungen einher. Die Stücke sind mit Doppelgriffen, Lagenwechseln und abenteuerliche Sprüngen gespickt, Paganini widmete sie bezeichnenderweise »agli artisti«, also den Künstlern, die mit dieser geigerischen Tour de Force beim Publikum reichlich Eindruck hinterließen. Auch wenn hier das spieltechnische Element zweifelsohne im Vordergrund steht, sind die durchaus gehaltvollen Capriccios letztlich doch mehr als bloße Zurschaustellungs- oder Übe-Stückchen. Für die virtuose Violinmusik des 19. Jahrhunderts wurden Paganinis Miniaturen ebenso maßgeblich wie für das Geigenspiel an sich.

Als Vorbild dienten Paganini die Capriccios von Pietro Locatelli, in denen ebenfalls das virtuose Element dominiert. Paganini griff Ideen aus Locatellis Sammlung unmittelbar in seiner eigenen auf. Schon Locatelli testete mit seinen virtuosen Solostücken die Grenzen, etwa das Spiel in den höchsten Lagen, aus. Auf der anderen Seite schrieb Locatelli aber auch Concerti grossi, darunter zwei Weihnachtskonzerte. Die Idee hatte er, na klar, von einem seiner Vorbilder: Arcangelo Corelli.

Virtuosität also um jeden Preis? Nein. Sagte auch Giuseppe Tartini, der in seinen Capriccios beweist, dass die spielerische Freiheit dieser Form durchaus Melodik und Kantabilität hervorbringen kann. Im 20. Jahrhundert entwickelt sich das Capriccio dann formal und inhaltlich ohnehin ähnlich vielfältig, wie es schon zur Zeit seiner Entstehungszeit auftrat. Die Miniaturen des gefragten italienischen zeitgenössischen Komponisten Salvatore Sciarrino erweisen sich, obwohl auf Paganini Bezug nehmend, als überaus fein und nuanciert ausgearbeitete Klangkunstwerke.

Im Wechsel mit Corellis Concerti grossi gespielt, bringen die Solostücke die Individualität des Einzelnen zum Ausdruck, selbst wenn sich heutzutage Geiger damit nicht mehr profilieren müssen wie einst Paganini. So treffen Ensemblekunstwerke auf Inseln kalkulierter Grenzgänge, Kollektiv und Individuum begegnen sich unmittelbar.

Kurzbiografien

Iliya Gringolts

Nachdem er zunächst Violine und Komposition in St. Petersburg studiert hatte, setzte Ilya Gringolts sein Studium bei Itzhak Perlman an der Juilliard School fort. 1998 ging er als Gewinner des internationalen Violin-Wettbewerbs "Premio Paganini” hervor, als jüngster Finalteilnehmer der Wettbewerbsgeschichte. Neben seiner Tätigkeit als Professor an der Zürcher Hochschule der Künste wirkt Ilya Gringolts regelmäßig als Violin International Fellow am Royal Scottish Conservatoire in Glasgow. Gringolts überzeugt mit äußerst virtuosem Spiel und feinfühligen Interpretationen. Als gefragter Solist widmet er sich neben dem großen Orchesterrepertoire auch selten gespielten sowie zeitgenössischen Werken; daneben gilt sein künstlerisches Interesse der historischen Aufführungspraxis. Ilya Gringolts konzertierte mit zahlreichen namhaften Orchestern, Solo- und Duoauftritten führten ihn untern anderem zum Verbier- und MiTo-Festival. Als Primarius des 2008 gegründeten Gringolts Quartetts feierte er Erfolge unter anderem bei den Salzburger Festspielen und zahlreichen weiteren. Als äußerst geschätzter Kammermusiker arbeitet Ilya Gringolts außerdem mit Künstlern wie Yuri Bashmet, David Kadouch, Itamar Golan, Peter Laul, Aleksandar Madzar, Nicolas Altstaedt, Andreas Ottensamer, Antoine Tamestit und Jörg Widmann zusammen. Seine umfangreiche Diskografie umfasst hochgelobte CD-Produktionen für die Deutschen Grammophon, BIS, Hyperion, Orchid Classics und Onyx.

Riccardo Minasi

Musikhistorische Quellenforschung, energiegeladene Orchesterleitung und eine einzigartige musikalische Vision zeichnen den in Rom geborenen Geiger und Dirigenten Riccardo Minasi aus. Er war Mitbegründer und Leiter des Ensembles »Pomo d’Oro« von 2012 bis 2015, seit 2017 ist er Chefdirigent des Mozarteumorchester von Salzburg und verfügt über eine reiche Aufnahmeerfahrung mit den besten Künstlern der Welt, darunter das Concertgebouworkest, die Bayrische Radiophilharmonie und das Swedish Radio Symphony Orchestra. Seit September 2018 ist Riccardo Minasi »Artist in Residence« des Ensemble Resonanz bis 2024. Von der besonderen musikalischen Verbindung zwischen Dirigent und Ensemble zeugen zahlreiche gemeinsame Konzerte und preisgekrönte CD-Einspielungen mit Werken Carl Philipp Emanuel Bachs (mit dem Cellisten Jean-Guihen Queyras), Joseph Haydns und Wolfgang Amadeus Mozarts, Ergebnisse einer auf mehrere Jahre ausgelegten Zusammen-arbeit mit dem Label Harmonia Mundi, in der ausgewähltes Repertoire des 17. und 18. Jahrhunderts im Mittelpunkt steht. Gemeinsam haben sie ein spezifisches Klangbild für dieses Repertoire entwickelt, dem gleichermaßen historisch begründete wie zeitgenössische Interpretationen auf modernen Instrumenten zu Grunde liegen.

Ensemble Resonanz

Mit seiner außergewöhnlichen Spielfreude und künstlerischen Qualität zählt das Ensemble Resonanz zu den führenden Kammerorchestern weltweit. Die Programmideen der Musiker setzen alte und neue Musik in lebendige Zusammenhänge und sorgen für Resonanz zwischen den Werken, dem Publikum und Geschichten, die rund um die Programme entstehen. Das 20-köpfige Streichorchester ist demokratisch organisiert und arbeitet ohne festen Dirigenten, holt sich aber immer wieder künstlerische Partner an Bord. Geiger und Dirigent Riccardo Minasi ist Principal Guest Conductor / Partner in Crime. Enge Verbindungen ging das Ensemble mit Partner:innen wie der Bratschistin Tabea Zimmermann, der Geigerin Isabelle Faust, dem Cellisten Jean-Guihen Queyras, dem Dirigenten Emilio Pomàrico oder der Szenografin Annette Kurz ein. Auch die Zusammenarbeit mit Komponisten und die Entwicklung eines neuen Repertoires sind ein treibender Motor der künstlerischen Arbeit. In Hamburg bespielt das Ensemble Resonanz mit der Elbphilharmonie und dem resonanzraum St. Pauli zwei besondere und unterschiedliche Spielorte. Die Residenz an der Elbphilharmonie beinhaltet die Konzertreihe resonanzen, die in der XXX Saison für Furore sorgt. Aber auch mit Kinderkonzerten sowie im Rahmen diverser Festivals gestaltet das Ensemble die Programmatik des neuen Konzerthauses entscheidend mit und setzt Akzente für eine lebendige Präsentation klassischer und zeitgenössischer Musik. Der resonanzraum im Hochbunker auf St. Pauli, der europaweit erste Kammermusik-Club, ist die Heimat des Ensemble Resonanz.

»concerti & capricen« (test)

 
resonanzen 6: concerti & capricen
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