Das Programmheft ist digital! Lest und schaut und hört vor dem Konzert oder danach. Währenddessen lieber den Blick auf die Bühne richten oder im Saal umherschweifen lassen. Und die Ohren öffnen für das, was kommt. Im Anschluss an das Konzert steht Euch wieder alles zur Verfügung.
Vorwort von Marie-Sünje Schade
Marianna von Martines – Ouverture (»Sinfonia«)
Manfred Trojahn – Trame Lunari
Isabel Mundry – Mozart-Fragmente mit »Zwischenmomenten«
Wolfgang Amadeus Mozart – »Haffner-Sinfonie«
Neues Mozart-Album bei Harmonia Mundi: Haffner-Akademie
Marianna von Martines (1744-1812)
Ouverture (»Sinfonia«)
I Allegro con spirito
II Andante ma non troppo
III Allegro spirituoso
Manfred Trojahn (*1949)
»Trame lunari« für Viola, Klavier und Kammerorchester
I Il suono attutito
II Giardini ammutoliti
III Dolcezza d´occhi senza pensieri
– Pause –
Isabel Mundry (*1963)
Mozart-Fragmente aus KV 404, 396 und 372 mit »Zwischenmomenten« für Viola und Klavier
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Sinfonie Nr. 35 D-Dur KV 385 »Haffner«
I Allegro con spirito
II Andante
III Menuetto
IV Presto
Nils Mönkemeyer Viola
William Youn Klavier
Riccardo Minasi Dirigent
Ensemble Resonanz
Konzertende: ca. 21:30 Uhr
Am Ende seine Sinfonie in ihrer ganzen Eleganz, davor Mozarts Gedanken als Skizzen und Fragmente, sortiert von Isabel Mundry: Melodien zum Mitpfeifen, ein charmantes Menuett, ein Presto mit Elan und schwärmerischer Geste. Dem Feingeist voraus lädt die lässige Ouvertüre einer Zeitgenossin in den Salon des 18. Jahrhunderts, und: Ein neues Kammerkonzert, eine Uraufführung, Manfred Trojahn destilliert den gedämpften Klang stumm gewordener Gärten.
Liebe Freundinnen und Freunde des Ensemble Resonanz,
gute Ideen, Innovationen, der »große Wurf« – die lassen sich nicht planen. Sie kommen, wenn wir sie am wenigsten erwarten: am Kneipentisch mit Freund:innen, in der Garage beim gedankenlosen Rumschrauben oder irgendwo zwischen Tür und Angel. Sie entstehen in Räumen, die nicht auf Effizienz, sondern auf Offenheit setzen. Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt solche Momente als Resonanz: wenn uns etwas berührt, zum Schwingen bringt, uns lebendig fühlen lässt.
Resonanz braucht Lücken, Zeit und Mut zum Ungeplanten – vor allem aber eine Haltung des Zuhörens. Ein Resonanzmoment lässt sich nicht erzwingen, aber wenn er entsteht, ist er umso kraftvoller. Er kann etwas verändern.
Diesen Gedanken trägt das Ensemble Resonanz im Namen und hat ihn fest in seinem Tun verankert. Auch unser heutiges Programm spürt diesen Zwischenräumen nach: Mozarts Skizzen und Fragmente gewähren Einblicke in seinen kreativen Prozess und Suche nach dem »großen Wurf«. Isabel Mundry nimmt dieses Stückwerk auf, hört zu, greift es auf und transformiert es zu etwas Neuem.
Mozarts Haffner-Sinfonie wiederum entstand mitten im Trubel – zwischen Opernaufträgen und Hochzeitsvorbereitungen, quasi auf dem Sprung. Und doch zählt sie heute zu einem der schönsten »Lückenfüller« der Wiener Klassik.
Mit Manfred Trojahns »Trame lunari« feiern wir heute eine Uraufführung – der Moment, in dem etwas noch nie Gehörtes zum ersten Mal erklingt. Die Geburt eines künstlerischen Gedankens, das immer auch Wagnis bedeutet und nur im offenen Moment möglich ist.
Den Auftakt macht heute Marianna von Martines’ Ouvertüre: Das Werk einer Komponistin, die viel zu lange überhört wurde und die Einblicke in noch unbekannte Flecken der Wiener Klassik wirft.
Gemeinsam mit unseren Gästen Nils Mönkemeyer und William Youn und unter der Leitung von Riccardo Minasi laden wir Sie ein, diese Zwischenräume des Unfertigen, Offenen und Unerwartbaren mit uns zu entdecken.
Mozarts Sinfonie finden Sie übrigens auch auf unserer neuen Einspielung »Mozart: Haffner-Akademie«. Zusammen mit der Starsopranistin Anna Prohaska verbinden das Ensemble und Riccardo Minasi darin die Sinfonie Nr. 35 »Haffner« mit expressiven Arien aus »Le nozze di Figaro«, »Così fan tutte«, »Idomeneo«, »Die Entführung aus dem Serail« und »La clemenza di Tito«. Die CD ist in der Pause und nach dem Konzert im Foyer auf Etage 13 an unserem Stand erhältlich.
Wir freuen uns auf diesen gemeinsamen Abend mit Ihnen!
Ihre
Marie-Sünje Schade
(Künstlerisches Management & Geschäftsführung)
Lücken haben einen lausigen Ruf. Ob in Zähnen, Haushalt oder Bildung – rasch werden sie gestopft, geschmäht, gemieden und verschwiegen. Vor lauter Eifer, sie zu schließen, verliert man allzu schnell den Blick auf ihr Potenzial: Eine Lücke ist nämlich nicht einfach nur Nichts, sondern vielleicht sogar eine Chance, ein sinnbildliches »Was wäre wenn?«.
Wer sie als Einladung begreift, kann sich von ihr anstiften lassen zur Kreativität, wie dieses Konzertprogramm wunderbar vor Augen führt. Im Reich der Kunst müssen uns darüber hinaus nicht einmal Karies oder Finanzkrisen die Lust an der Lücke vermiesen – also lassen Sie uns mutig hineinspringen!
Skizzenhafte Fragmente aus Mozarts Kammermusik werden von Komponistin Isabel Mundry nicht als »unvollständig« beiseitegeschoben, sondern einem Upcycling-Prozess unterzogen: Sie hat Mozarts Stückwerk verwoben mit eigenem Material und daraus eine musikalische Textur geschaffen, die zeitlosen Chic verströmt. Marianna von Martines, eine Zeitgenossin Mozarts, lädt uns mit einer feurigen Sinfonie dazu ein, nach Lücken einer patriarchalen Geschichtsschreibung zu fahnden, während Manfred Trojahn mit »Trame Lunari« einen Zwischenraum der Poesie in magisches Licht taucht: Mondschein und Finsternis umspielen sich, Grenzen zwischen (Alb-)Traum und Wirklichkeit verschwimmen.
Am Ende funkelt dann noch ein Edelzahn: Mozarts Haffner-Sinfonie entstand rasant zwischen Oper, Orchestermesse und einer überstürzten Hochzeit – und wurde zum vielleicht schönsten Lückenfüller der Wiener Klassik.
Als Marianna von Martines am 4. Mai 1744 in Wien das Licht der Welt erblickt, herrscht das erste Mal in der Geschichte des Heiligen Römischen Reichs eine Frau. Offiziell gekrönter Kaiser ist zwar nicht sie, sondern Gatte Franz I. – doch weiß jeder, wer in Wahrheit die Fäden in der Hand hält: Maria Theresia, Erzherzogin von Habsburg, Königin von Ungarn und Böhmen – und wenn schon nicht gekrönte, so doch allseits als solche verehrte Kaiserin.
Als Politikerin vereinte sie Konservativismus und Reformgeist. Einerseits lebte sie als strenge Katholikin, beschnitt andererseits die ausufernde Macht der Kirche, indem sie den Jesuitenorden verbot. Sie schützte Bauern vor willkürlicher Ausbeutung, hielt zugleich am Prinzip der Leibeigenschaft fest. Einer ihrer nachhaltigsten Reformen war die Einführung einer allgemeinen Unterrichtspflicht: Mädchen und Jungen sollten bis zum 13. Lebensjahr eine Schule besuchen. Die Rolle als »Mutter der Nation« wusste Maria Theresia dabei gekonnt zu inszenieren. Im österreichischen Erbfolgekrieg soll sie 1741 mit Säugling Joseph II. als Thronfolger auf dem Arm vor die ungarischen Soldaten getreten sein, »worauf diese von der kurzen, aber beredten Ansprache der jungen, schönen Fürstin, des bedrängten Weibes und der bittenden Mutter begeistert, die Säbel zogen und riefen: ›Moriamur pro rege nostro‹. – ›Wir werden sterben für unseren König‹.« – so jedenfalls erzählt es das k.u.k. Kriegsarchiv.
War die kaiserliche Herrscherin ein feministisches Vorbild ihrer Zeit? Jedenfalls wagte Marianna von Martines wesentlich mehr als Frauen im 18. Jahrhundert gemeinhin zugetraut und zugestanden wurde. Ihre im Alter von 26 Jahren entstandene Sinfonie in C-Dur wird in manchen Quellen als die erste von einer Frau komponierte Sinfonie überhaupt bezeichnet. Da Kompositionen von Frauen jedoch selten gedruckt wurden und der Gattungsbegriff damals noch schwammig war (Martines selbst nannte ihr Werk »Ouvertüre«), bleibt das schwer nachweisbar. Definitiv nimmt ihre Sinfonie als groß angelegtes Instrumentalwerk aber eine exponierte Rolle ein. Die optimistisch vorwärtsdrängende Musik zeugt dabei von großem künstlerischem Selbstbewusstsein ebenso wie von handwerklichem Können.
Letzteres verdankte Martines ihrem größten Förderer und Mentor, dem Literaten Pietro Metastasio. Der war bereits unter der Regentschaft von Maria Theresias Vater Karl VI. zum Hofdichter berufen worden und vermietete in seinem nahe der Hofburg gelegenen Haus Wohnungen an Freunde und Kreative, sodass es schon bald zum Treffpunkt des kunstsinnigen Wiens wurde. Sowohl Joseph Haydn als auch die Komponistenkollegen Johann Adolph Hasse und Nicola Porpora lebten hier zeitweise Tür an Tür zur Familie Martines, die als alte Freunde Metastasios einzogen, nachdem Mariannas Vater als päpstlicher Botschafter nach Wien gekommen war.
Metastasio hat früh das künstlerische Talent Martines‘ erkannt und sie privat unterrichtet, wobei er sie nicht nur in Grundlagen der Musik, sondern auch in Literatur, bildenden Künsten und Fremdsprachen unterwies. Vermutlich hat sie auch von Haydn und Porpora gelernt, mit Sicherheit kannten sie sich und führten sich ihr Können in wechselseitigen Hauskonzerten vor. Als Erwachsene veranstaltete Marianna von Martines mit großem Erfolg eigene Salons in ihrer Wohnung. Sie spielte am Klavier selbstkomponierte und fremde Werke, sang virtuos Arien und hatte prominente Gäste im Haus, wie etwa die Erinnerungen des Sängers Michael Kelly bezeugen: »Mozart war fast ständig bei ihren Festen zugegen und ich habe gehört, wie er mit ihr Duette auf dem Hammerklavier spielte, die er selbst komponiert hatte. Sie war sein großer Liebling.«
Als Eröffnungswerk hat ihre facettenreiche Sinfonie das Potenzial, auch heute noch zum Publikumsliebling zu avancieren. Galante Virtuosität mit effektvollen Kontrasten mündet in intime Plauderei, auf sangliche Melodien im Mittelteil folgt ein spritziges Finale: Zügigen Schrittes wagt die Musik immer neue Kombinationen, Anflüge von Müdigkeit werden vom berauschten Orchestertutti fortgetanzt.
Es ist schwierig, sich in Mondlicht zu sonnen. Mag es auch verführerisch leuchten – es bleibt doch ewig kühl, bleibt der Abglanz eines Sterns, der seine Wärme schon am anderen Ende der Welt verschenkt.
Erinnerungen, so fantasierte der italienische Dichter Guiseppe Ungaretti, müssen aus Mondlicht gesponnen sein. Aus verwunschenen Silberfäden, die ein Licht der Vergangenheit in die Gegenwart senden, trügerisch echt und unendlich fern zugleich. »Trame lunari« heißt eines seiner Gedichte aus dem Jahr 1922, was wörtlich übersetzt »Mondfäden« bedeutet.
Guiseppe Ungaretti: Trame lunari (1922)
il suono attutito di perse
memorie riverbera
affiorano brividi d’ombra
da uno spiraglio repentino è desto
un corso d’acqua calmo e chiaro
svela ammutoliti giardini
e questo crucciato profugo è
riflesso in quel vago balocco
o gote rosee o tempie azzurrine
o dolcezza d’occhi senza pensier
Manfred Trojahn hat sich von diesem Gedicht zu seinem gleichnamigen Werk für Viola, Klavier und Kammerorchester inspirieren lassen; er folgt in drei Sätzen den drei Strophen Ungarettis, die selbst bereits einen musikalischen Charakter besitzen. Anfangs ist von einem »dumpfen Klang« die Rede, der beim lyrischen Ich »verlorene Erinnerungen« wachruft. Es handelt es sich wohl um bedrohliche Bilder, denn es tauchen »dunkle Schatten« auf. Die zweite Strophe beschreibt hingegen eine Oase des Friedens, wo in stillen Gärten klares Wasser glitzert. Darin sieht sich der »gekreuzigte Wanderer« in der letzten Strophe gespiegelt, wobei die Anspielung auf rosige Wangen und azurblaue Schläfen verrät, dass die Reflektion dem Blick in einen Zauberspiegel gleicht: Ein verklärtes Bild aus der Vergangenheit (oder einer illusorischen Parallelwelt?) erscheint, das für den geplagten Wanderer nur in der Fantasie zugänglich bleibt.
Verwunschen und geheimnisvoll klingt auch Trojahns Musik. Ein Akkord von Klavier und tiefen Streichern bildet den »dumpfen Klang« zu Beginn des Werks, auf den der Einsatz der Solo-Viola folgt. Himmlischen Höhen entspringt ihre Melodie, zurückhaltend, doch von betörender Intensität. Zugleich wohnt ihrer Stimme eine irrlichternde Rastlosigkeit inne, auch die Orchesterfarben flackern unstet: Tiefe Holzbläser scheinen mit an- und abschwellenden Tönen das Wechselspiel von Mondlicht und Finsternis zu symbolisieren, grell (oder schmerzhaft?) blitzen Geigentöne. Im zweiten Satz setzt sich dieses kontrastreiche Spiel fort, indem die Solo-Instrumente einander bruchstückhafte Motive zuwerfen, sich überlagern in rasenden Läufen, Akzenten, Seufzern. Auf einmal steigt sanfter Nebel auf: Gedämpfte Streicher verströmen Liegetöne, wabern mystisch unter den Solo-Stimmen. Im dritten Satz hat dieser Zauber auch die Solo-Instrumente gebannt, die »molto calmo« im Pianissimo durch Traumwelten wandeln, während das Orchester schweigt. Das Klavier spaltet Trojahn dafür klanglich auf: Unten schenkt es moosige Cluster, oben glitzern Sechzehntel wie Tröpfchen auf einer Decke aus Glas. Die Viola singt dazwischen eine sehnsüchtige Melodie, die harmonisch schwer greifbar bleibt und doch durch sanfte Schönheit berührt.
Die Partitur wirkt dem Anschein nach wie das Produkt einer Patchwork-Session: Als hätte Isabel Mundry mit Klebstift, Schere und Papier altes und neues Material zusammengebastelt. Die Basis bilden Jahrhunderte alte Kompositionen, die selbst Bruchstücke sind: Fragmente aus Mozarts Kammermusik-Sammlung. Zu Lebzeiten des Komponisten wurden sie nie veröffentlicht und sind größtenteils unvollendet geblieben.
Da laufen eilige Sechzehntel in seiner Violinsonate KV 546a nach einigen Takten abrupt ins Nichts, erst verschlägt es dem Klavier die Sprache, dann verstummt auch die Geige. An dieser Stelle setzt Isabel Mundry an: Töne bleiben hängen, bilden neblige Cluster, als wüsste die Musik selbst nicht recht, wie es weitergehen könnte. Noch einmal hallen Motive nach, schon mischen sich neue Rhythmen hinein – und führen lückenlos ins nächste Mozart-Fragment, ein elegant tänzelndes Andante aus KV 404.
Was ist hier Originalkomposition, was Kommentar? Mit Blick in die Partitur scheint die Frage schnell beantwortet: Die akkurate handschriftliche Notation von Isabel Mundry weicht sichtbar ab von den hineinkopierten Drucken der Mozartwerke. Doch kann bei einer hingeworfenen Skizze aus Mozarts Konvolut überhaupt von einem »Werk« gesprochen werden? Sind diese Fragmente nicht eher Teil eines kompositorischen Werkzeugkoffers, aus dem Mozart sich für kommende Werke bediente – dessen Inhalt er womöglich auch bewusst verworfen hat, wo das Ergebnis nicht überzeugte? Auffällig ist jedenfalls seine übermütige Experimentierfreude am Material: So gestaltet Mozart im Mittelteil des Andante aus KV 404 aufstrebende Läufe in der Klavierstimme von Takt zu Takt immer komplizierter, als wollte er austesten, wie viele Stolperfallen der gute Geschmack (beziehungsweise der Interpret) verkraftet. Im Fragment KV 480a dagegen stiftet er harmonische Verwirrung: Das stolze Dur zu Beginn wird schon nach zwei Takten durch zögerliches Moll in Frage gestellt, die Musik wagt einen Neustart, springt aber sofort wieder in zweifelnde Paralleltonarten, um schließlich jäh in musikalische Plauderei zu flüchten.
Die Beschäftigung mit solch skizzenhafter Spielerei kann auch den Blick auf »fertige« Kompositionen verändern. Sie wirken nicht länger als zwingendes Ergebnis eines Masterplans, sondern als eine Möglichkeit unter vielen. Die Freude am Experiment scheint auch Isabel Mundry gepackt zu haben, wenn sie in einem solistischen Zwischenteil der Viola das Material variiert – Töne verebben zur Stille und erwachen wieder, Echos hallen nach, auf seidige Eleganz folgt knarziges Kratzen. Spielerisch ist diese Dichte an Gedanken fordernd: Die Taktarten wechseln permanent, auch Exoten wie 3/16-Takte und 5/8-Takte sind darunter, dazu kommen diverse Techniken: Pizzicati, Triller, Glissandi, sowie Bogenstriche an unterschiedlichen Stellen auf dem Instrument, nahe und fern des Steges.
Wenn es einen Interpreten gibt, der solcher Virtuosität gewachsen ist, dann wohl Nils Mönkemeyer, der Solist des heutigen Abends. Den hatte Isabel Mundry auch vor Augen, als sie ihre »Zwischentöne« aufs Papier brachte, wie die Widmung am Ende des Werks verrät: »Für dich Nils, danke!!!«
Mozarts Plauderton in Briefen wirkt aus heutiger Warte manchmal geradezu unangenehm arglos. »Wer eine Frau bekömmt, wie ich eine bekomme, der kann gewiß glücklich sein« schreibt er 1782 an den Vater. Er bittet um dessen Hochzeitssegen und malt die Zukunft mit Constanze in rosigen Farben: »Wir werden ganz still und ruhig leben und doch vergnügt sein.« Dabei ist (und bleibt) Mozarts Leben alles andere als still und ruhig. Ein Streit mit dem Erzbischof, seinem Salzburger Dienstherren, war derart eskaliert, dass dieser Mozart mit einem Tritt in den Hintern auf die Straße setzten ließ – eine so herbe wie beschämende Form der Kündigung selbst in absolutistischen Zeiten. »Leck mich im Arsch«, kritzelt Mozart kurz darauf auf ein Notenpapier. In fröhlichstem Dur trällern sechs Stimmen die unflätigen Zeilen im Kanon durcheinander. Das unveröffentlichte Stücklein kann uns ein Zeugnis davon geben, wie sehr Mozart sich in seiner Ehre gekränkt und vor Wut gekocht haben muss (und wie er auf sehr individuelle und kreative Weise darauf reagiert).
Dem beruflichen Zerwürfnis folgt die private Krise: Die befreundete Musikerfamilie Weber nimmt ihn nach dem Rausschmiss in Wien bei sich auf – das immer offensichtlichere Verhältnis zwischen Tochter Constanze und dem jungen Brausekopf ist Mutter Cäcilia Weber aber ein Dorn im Auge. Mozart zieht aus, die Gerüchteküche brodelt weiter: »Die meisten Leute glauben, wir sind schon verheiratet«, schreibt Mozart dem Vater, »die Mutter wird darüber aufgebracht, und das arme Mädchen wird samt meiner zu Tode gequält.« Im Streit flieht Constanze aus dem Elternhaus, Cäcilia droht mit der Polizei. Mozart wiederum empört sich so sehr darüber, dass er Constanze besser heute als morgen heiraten will: Am 4. August 1782 veranlasst er Hals über Kopf eine Trauung im Stephansdom – im engsten Kreis, sogar ohne den väterlichen Segen aus Salzburg abzuwarten.
Eine sechsmonatige Schaffenskrise durch psychische und physische Überlastung – solch eine Diagnose hätte angesichts der Vorgänge im Leben Mozarts kaum verwundert. Überraschenderweise tritt das Gegenteil ein: Je stärker das Chaos in Mozarts Leben um sich greift, je trotziger er um Selbstbestimmung ringt, desto visionärer klingt seine Kunst. Die Menge an Output ist überwältigend. Wenige Tage vor der Hochzeit feiert er mit der »Entführung aus dem Serail« einen bombastischen Opernerfolg im Hoftheater, parallel arbeitet er an seiner c-Moll-Messe, an der Bläser-Serenade KV 388 und etlichen kleineren Stücken – da flattert auch noch ein großer Auftrag aus Salzburg ein: Vater Leopold bittet um eine feierliche Musik für den befreundeten Kaufmann Sigmund Haffner, der in der Heimatstadt in den Adelsstand erhoben werden soll. Aus Sicht des Vaters wohl eine willkommene Gelegenheit, den ramponierten Ruf des Sohnes wieder aufzubessern – aus Mozarts Perspektive eine Bitte, die er nicht ablehnen kann. Schließlich ist das Verhältnis zum Vater ohnehin zum Zerreißen gespannt und dann ist er ja auch noch auf den Hochzeitssegen aus. So antwortet er: »Je nun, ich muss die Nacht dazu nehmen, anders kann es nicht gehen – und Ihnen, mein liebster Vater, sei es aufgeopfert.«
Am Ende schafft Mozart es nicht mehr fristgerecht, das Werk abzuliefern, sodass es erstmal ungespielt bleibt – als der Vater ihm die Partitur Monate später zurückschickt, hat Mozart sie bereits wieder vergessen und zeigt sich überrascht: »Ich wusste kein Wort mehr davon; – die muss gewiss guten Effekt machen!«
Das macht sie in der Tat bis heute. Schon zu Beginn wagt Mozart im »Allegro con spirito« wilde Sprünge über zwei Oktaven und entfesselt einen musikalischen Rausch, der kein Halten kennt. Da grooven Bassläufe, da schießen Klangfontänen himmelwärts, da lachen freche Synkopen. Geradezu unglaubwürdig wirkt im langsamen zweiten Satz die Idylle, ruppige Tanzmusik folgt mit dem dritten Satz (Menuett). Im vierten Satz scheint Mozart den Stress beim Komponieren auf die ausübenden Musiker externalisieren zu wollen: »So geschwind, als es möglich ist« soll das Presto gespielt werden – was bei oft fugenartig ineinandergreifenden Motiven zu permanenten Forte-Piano-Kontrasten enorme Aufmerksamkeit erfordert und selbst beim Zuhören nervöse Zuckungen auslösen kann. »Being Wolfgang Amadeus Mozart« – hier können Sie einmal viereinhalb Minuten lang erahnen, wie sich das angefühlt haben könnte.
Texte von Thilo Braun
Mozart als hochemotionales Drama: Die gefeierte Sopranistin Anna Prohaska, Dirigent Riccardo Minasi und das Ensemble Resonanz bündeln ihre musikalischen Kräfte, um die große emotionale Tiefe seiner Werke auszuloten. Inspiriert von der Tradition der historischen Akademiekonzerte verbindet das Album die Sinfonie Nr. 35 »Haffner« mit einigen der expressivsten Arien aus Mozarts Opern – darunter Le Nozze di Figaro, Così fan tutte, Idomeneo, Die Entführung aus dem Serail und La clemenza di Tito.
Nils Mönkemeyer zählt unbestritten zu den weltbesten Bratschisten und hat seinem oft unterschätzten Instrument zu einer neuen und verdienten Aufmerksamkeit verholfen. Mönkemeyers Repertoire umfasst nahezu alle Epochen, seine zahlreichen Einspielungen als Solist werden von der Kritik gefeiert und haben zahlreiche Preise gewonnen. Mit Pianist William Youn verbindet Mönkemeyer eine besonders enge und fruchtbare musikalische Freundschaft. Durch ihre ähnliche Wahrnehmung von Musik gelingt es Youn und Mönkemeyer im Zusammenspiel besonders gut, eine gemeinsame Sprache zu sprechen und wechselseitig das Fundament für künstlerische Höchstleistungen zu schaffen.
Künstlerische Brillanz und innovative Programmgestaltung sind das Markenzeichen, mit dem Nils Mönkemeyer sich als einer der international erfolgreichsten Bratschisten profiliert und seinem Instrument zu enormer Aufmerksamkeit verholfen hat.
In seinen Programmen spannt Mönkemeyer den Bogen von Entdeckungen und Ersteinspielungen originärer Bratschenliteratur des 18. Jahrhunderts bis hin zur Moderne und zu Eigenbearbeitungen. So auch auf seinen CD-Einspielungen bei Sony Classical, die vielfach mit Preisen ausgezeichnet und von der Presse gefeiert wurden. Zuletzt erschien im Frühjahr 2023 sein Album »Dance for Two« mit der Blockflötistin Dorothee Oberlinger, das Werke aus über tausend Jahren Musikgeschichte größtenteils in eigenen Arrangements für diese besondere Besetzung vereint.
In der Saison 2024/25 tritt Nils Mönkemeyer bei bedeutenden Festivals wie dem Beethovenfest Bonn, dem Festival der Nationen, dem Mozartfest Würzburg und den Festspielen Mecklenburg- Vorpommern auf, sowie bei den Inselkonzerten Herrenchiemsee (die er zusammen mit dem Pianisten William Youn gegründet hat und die nun in ihre 6. Saison gehen). Ebenso kehrt Mönkemeyer zum Gstaad Menuhin Festival und zum Boswiler Herbst zurück. Mit dessen künstlerischen Leitern Julia Fischer und Benjamin Nyffenegger tritt er auch regelmäßig im Julia Fischer Quartett auf. Im Oktober beginnt er eine dreijährige Residenz bei der Philharmonischen Gesellschaft Bremen, wo er unter anderem mit dem Animato Quartet und mit Carolin Widmann, Julian Steckel und William Youn spielt. Weitere besondere Kammermusikprojekte in dieser Saison sind Triokonzerte mit Sabine Meyer und William Youn, Rezitale mit Dorothee Oberlinger, ein Projekt mit dem Ensemble Resonanz und ein faszinierendes Programm mit dem Folkwang Kammerorchester Essen – das er von der Bratsche leiten wird – mit Werken von Hildegard von Bingen, Bach, Dowland, Vivaldi und Telemann.
Kritiker nennen ihn einen »echten Poeten am Klavier«: Pianist William Youn hat sich in den letzten Jahren international einen Namen gemacht, sein Spiel besticht durch Feinsinnigkeit, Klarheit, emotionale Tiefe und sensible Analyse. Sein breit gefächertes Repertoire umspannt in den Bereichen Rezital, Kammermusik und Orchester Werke von Bach, Mozart, Schubert, Chopin and Rachmaninow sowie Zeitgenössische Musik – ein vielseitiger und kreativer Künstler, der es liebt, seine Begeisterung für Interpretation und Entdeckergeist mit Kollegen und Publikum zu teilen.
William Youn konzertiert weltweit von Berlin über Seoul bis New York mit renommierten Orchestern wie dem Cleveland Orchestra, den Münchner Philharmonikern, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dem Belgian National Orchestra oder dem Seoul Philharmonic Orchestra auf wichtigen Konzertpodien wie Wigmore Hall, Konzerthaus Wien, Elbphilharmonie Hamburg, Pierre Boulez Saal und Konzerthaus Berlin, Tokyo Opera City Concert Hall, Alte Oper Frankfurt, deSingel Antwerpen, Walt Disney Hall Los Angeles und Seoul Arts Center. Zu seinen Partnern zählen dabei die Dirigenten Myung-Whun Chung, Hannu Lintu, Pietari Inkinen, Kristiina Poska, Thomas Hengelbrock und Mario Venzago, die Komponistinnen Isabel Mundry und Konstantia Gourzi sowie im kammermusikalischen Bereich Bratschist Nils Mönkemeyer und Klarinettistin Sabine Meyer.
Musikhistorische Quellenforschung, energiegeladene Orchesterleitung und eine einzigartige musikalische Vision zeichnen den in Rom geborenen Geiger und Dirigenten Riccardo Minasi aus. Er war Mitbegründer und Leiter des Ensemble »Pomo d’Oro« von 2012 bis 2015, seit 2017 ist er Chefdirigent des Mozarteumorchester von Salzburg und seit 2022 Künstlerischer Leiter des Orchesters »La Scintilla« am Opernhaus Zürich.
Mit dem Ensemble Resonanz verbindet ihn seit 2014 eine fruchtbare musikalische Zusammenarbeit, die sich ab der Saison 2022/23 intensiviert und mit der Ernennung als »Principal Guest Conductor« eine unbefristete Perspektive erhält. Von der besonderen Verbindung zwischen Dirigent und Ensemble zeugen zahlreiche gemeinsame Konzerte und preisgekrönte CD-Einspielungen mit Werken von C.P.E. Bach (mit dem Cellisten Jean-Guihen Queyras), Haydn, Mozart, Pergolesi und Beethoven – Ergebnisse einer auf mehrere Jahre ausgelegten Zusammenarbeit mit dem Label Harmonia Mundi, in der ausgewähltes Repertoire des 17. und 18. Jahrhunderts im Mittelpunkt steht. Gemeinsam haben sie ein spezifisches Klangbild für dieses Repertoire entwickelt, dem gleichermaßen historisch begründete wie zeitgenössische Interpretationen auf modernen Instrumenten zu Grunde liegen.
Violine
Barbara Bultmann**, Bogdan Božović**, Gregor Dierck*, Swantje Tessmann*, Skaistė Dikšaitytė, Tom Glöckner, David-Maria Gramse, Corinna Guthmann, Juditha Haeberlin, Christine Krapp, Benjamin Spillner, Hyun-Jung Kim, Katharina Licht
Viola
Tim-Erik Winzer*, Florian Peelman*, David Schlage, Lise Guérin, Christian Marshall
Violoncello
Saskia Ogilvie*, Saerom Park*, Jörn Kellermann, Lea Tessmann
Kontrabass
Anne Hofmann*, Rosemary Salvucci
Flöte
Jessica Dalsant, Marcos Villalobos Ortiz
Oboe
Risa Soejima, Elisabeth Grümmer
Klarinette
Matic Kuder, Clarissa Schmitt
Fagott
Volker Tessmann, Nur Meisler
Horn
Tomás Guerra Figueiredo, Florian Cason
Trompete
Valentin Erny, Robin Nikol
Pauken
Danilo Grassi
** Konzertmeister
* Stimmführer:in
Mit seiner außergewöhnlichen Spielfreude und künstlerischen Qualität zählt das Ensemble Resonanz zu den führenden Kammerorchestern weltweit. Die Programmideen der Musiker:innen setzen alte und neue Musik in lebendige Zusammenhänge und sorgen für Resonanz zwischen den Werken, dem Publikum und Geschichten, die rund um die Programme entstehen.
Das 21-köpfige Streichorchester ist demokratisch organisiert und arbeitet ohne festen Dirigenten, holt sich aber immer wieder künstlerische Partner:innen an Bord. Der Geiger und Dirigent Riccardo Minasi ist »Principal Guest Conductor & Partner in Crime« des Ensemble Resonanz. Enge künstlerische Verbindungen ging das Ensemble mit der Bratschistin Tabea Zimmermann, der Geigerin Isabelle Faust, dem Cellisten Jean-Guihen Queyras oder dem Dirigenten Emilio Pomàrico ein. Mit der Szenografin Annette Kurz begleitet seit der Saison 22/23 erstmals eine visuelle Künstlerin das Ensemble als Artist in Residence. Auch die Zusammenarbeit mit Komponist:innen und die Entwicklung eines neuen Repertoires sind ein treibender Motor der künstlerischen Arbeit.